Besteht ein Zusammenhang zwischen dem Reichtum der G7-Staaten und der Armut in Ländern des globalen Südens?
Hunger und Armut können verschiedenste Ursachen haben, die man in zwei Hauptgruppen teilen kann: natürliche und menschengemachte Ursachen. Dabei standen die natürlichen Ursachen, z.B. geografische und klimatische Faktoren wie Ernteausfälle durch Naturkatastrophen, Überschwemmungen, Dürre, vor allem in der Vergangenheit im Vordergrund, obwohl sie nach wie vor eine Rolle spielen – doch dank der uns heute zur Verfügung stehenden technischen und finanziellen Mittel wäre die ‘Weltgemeinschaft’ in den meisten Fällen durchaus in der Lage, Hilfe zu leisten und schlimmere Folgen zu verhindern, oder schon präventiv einzuwirken.
Leider existiert so eine solidarische ‘Weltgemeinschaft’ bisher in erster Linie als Idee – auch wenn die Agenda 2030 ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung ist. In Wirklichkeit stellen gerade die Menschen selber die grösste Bedrohung dar, sowohl füreinander, als auch für Natur und Klima. Die Hauptursachen für Armut und Hunger sind darum heute vor allem menschengemacht:
- Gier und Egoismus einzelner, die Menschen, Tiere, Länder und Natur zur eigenen Bereicherung ausbeuten
- Bequemlichkeit und Egoismus vieler, die ihre Privilegien im ‘goldenen Käfig’ nicht aufgeben wollen und darum wegschauen, sobald sich andeutet, ihre Vorteile könnten auf der Benachteiligung anderer basieren
- und die durch Mangel an Nahrung, Wissen, Zeit und Selbstwert verursachte Passivität und Resignation der Ausgebeuteten
Auch die menschengemachten Ursachen von Hunger und Armut in der Gegenwart können wiederum in zwei Gruppen unterteilt werden: Landesinterne und externe Ursachen.
Zu den landesinternen Ursachen zählen verschiedenste innerpolitische Faktoren der Kategorie ‘Bad Governance’ (= schlechte Regierungsführung), wie die Vernachlässigung sozialer Belange und Bildung, soziale Ungleichheit, Vertreibung von Kleinbauern, mangelnde Rechtsstaatlichkeit, Machtmissbrauch, Korruption sowie kulturelle Faktoren, land-/wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen, Zerstörung ökologischer Räume und Ressourcen, Genozid und kriegerische Inlandskonflikte.
Externe Ursachen spielen vor allem seit Beginn der Kolonialisierung eine immer grössere Rolle, beeinflussen oft stark die zuvor genannten landesinternen Faktoren, und stehen für die ‘dunkle Seite’ der Globalisierung. Ging es dabei in der Kolonialzeit um politischen Einfluss und Wirtschaftsmacht europäischer Königreiche und Länder, spiegeln politische Entscheidungen heute weniger die Interessen von Staaten oder Ländern, sondern supranationaler Grosskonzerne, die massiv-aggressive Einflussnahme auf die Politik betreiben, um ihr globales Machtgefüge auszubauen.
Menschengemachte, externe Ursachen für Hunger und Armut
Kolonialisierung bedeutet Zerstörung von politischer, wirtschaftlicher, kultureller Eigenständigkeit und Selbstwert der quasi zwangsentmündigten Länder, sowie Ausbeutung der regionalen Ressourcen zum Zweck der eigenen Bereicherung. Dadurch Entstehung von sozialer und materieller Ungleichheit und wirtschaftspolitischer Abhängigkeit, die durch ihre tiefgreifenden Strukturen zumeist auch nach Wiedererlangung der Unabhängigkeit bestehen blieben bis hin zur Globalisierung. Hier wurde das vorangelegte Gefälle zwischen den Ländern des Nordens und des Südens dann mit weiteren Mitteln vertieft, die für die ‚dunkle Seite’ der Globalisierung stehen:
Dumpingexporte aus nördlicher (Agrar)Überschussproduktion führen im Süden zu Preisverfall am inländischen Markt, zur Verdrängung & Verarmung von Kleinbauern & -produzenten, und erzeugen damit in den sog. Entwicklungsländern eine fatale Abwärtsspirale der Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten
Patente auf Saatgut verbieten Bauern Wiederaussaat, Austausch und Weiterverkauf einmal erworbenen kommerziellen Saatguts, was für Kleinproduzenten Abhängigkeit von den Saatgutkonzernen bedeutet, zu erheblicher Steigerung ihrer Produktionskosten führen und ihr Recht auf Nahrung bedrohen kann
Zerstörung von indigenen Rückzugsräumen, Regenwäldern und (Um)Nutzung von Ackerflächen für die Konsumbedürfnisse reicher Drittländer, wie z.B. Fleisch, Palmöl, Biodiesel – anstatt (regionaler) Nahrungsproduktion, Natur- und Klimaschutz
Klimawandel, v.a. verursacht vom hohen Energieverbrauch der Industriestaaten, trifft am härtesten die arme Bevölkerung in klimatisch betroffenen Regionen des Südens
… sowie des weiteren:
- Billiglohnproduktion, Zwangs- und Kinderarbeit
- Spekulation mit Nahrungsmitteln
- Unfaire Wettbewerbsbedingungen auf dem Weltmarkt
- Auslandsverschuldung
- Landraub
- Kriege
EU und Deutschland
Auch die EU und Deutschland profitieren seit langem vom Nord-Süd-Gefälle – ob Dumpingexporte, wie EU Milchpulver und deutsches Geflügelrestfleisch nach Afrika, Billiglohnproduktion in Asien, oder deutsche Waffenexporte… die Liste ist lang.
Zwar hat die EU Ende 2015 auf massive Proteste bezgl. der geplanten Handelsabkommen CETA und TTIP mit Einführung der Agenda 2030-konformen Strategie ‘Handel für Alle’ reagiert, die für einen wirtschaftspolitischen Wertewandel mit stärkerem Fokus auf Menschenrechte, Nachhaltigkeit und Demokratie stehen soll – doch in der Praxis hat sich kaum etwas verändert. Nach wie vor steht die Steigerung von Wettbewerbsfähigkeit und Gewinnaussichten europäischer Unternehmen klar im Vordergrund, wie folgende Auszüge aus dem im Okt. 2016 in Kraft getretenen EU-Freihandelsabkommen mit Afrika (EPA) belegen:
- weitgehendst uneingeschränkten Marktzugang für Güter, Dienstleistungen und Investitionen aus Europa (dabei wird auch von ärmsten Entwicklungsländern wie Burkina Faso die Abschaffung von Exportzöllen und -steuern auf Basis des ‘Prinzips der Gegenseitigkeit’ gefordert)
- ungehinderten Zugang zu öffentlichen Aufträgen und Rohstoffen
- mehr Schutz von Investitionen und geistigem Eigentum (z.B. Saatgut, Medikamente)
- Sonderklagerechte für Konzerne
Dazu abschliessend ein Zitat aus der Studie ‚Die EU Handelspolitik und der Globale Süden’ von Thomas Fritz (Veröffentlicht im November 2017, Herausgeber: Forum Umwelt und Entwicklung, Powershift, attac, Stiftung Asienhaus, FDCL):
„Die Analyse der wirtschaftlichen Partnerschaftsabkommen (EPAs – Economic Pertnership Agreements) verdeutlicht, wie weit Anspruch und Wirklichkeit der EU Handelspolitik auseinanderklaffen. Die entwicklungspolitischen Bekenntnisse und Verpflichtungen zu regionaler Integration, Armutsbekämpfung und wirtschaftlicher Entwicklung werden durch die Abkommen nahezu systematisch kionterkariert. Das größte Erschrecken lösen dabei die erpresserischen Verhandlungsmethoden der EU-Kommission aus, die – nicht weniger bestürzend – wiederholt die Zustimmung des Europäischen Parlaments und der Bundesregierung erhielten.“
Die Agenda 2030 & die SDGs – nur eine Papier-Utopie?